Dienstag, 27. Januar 2009

Darwin entdecken

Nächste Woche, am 2. Februar, ist es soweit: der Hörpunkt über Darwin und die Evolution geht bei DRS 2 über den Sender - einen ganzen Tag lang.
Der Morgen des Hörpunkts ist ganz dem grossen Biologen gewidmet: Wir lernen ihn sehr persönlich kennen und folgen seinem Weg zur Evolutionstheorie. Gast im Studio ist der Darwin-Biograf Jürgen Neffe. Im Folgenden ein Essay über Darwin, der neugierig machen soll.

Charles Darwin kennen alle – irgendwie.
Das ist doch dieser englische Biologe, der mit seiner Evolutionstheorie erklärt haben will, wie die Vielfalt des Lebens entstanden ist, und der den Menschen zum Affen erklärt hat. Diesen Charles Darwin wollen die Wissenschaftler im Jahr 2009 nun kräftig feiern; weil sein Hauptwerk vor genau 150 Jahren erschienen ist, weil er am 12. Februar seinen 200. Geburtstag begehen könnte, und vor allem, weil seine Erklärung der Artenvielfalt beim grossen Publikum noch immer nicht richtig angekommen ist. Dabei ist Darwins Beitrag zur Naturwissenschaft von fundamentaler Bedeutung. „Nichts ergibt in der Biologie einen Sinn, ausser man betrachtet es im Lichte der Evolution“, hat der Biologe Theodosius Dobzhansky einmal gesagt.

Eine grosse Feier also, um den Mann, seine Theorie – und damit die ganze Wissenschaft populärer zu machen. Viele werden da Propaganda wittern, andere sich gelangweilt abwenden: schon wieder wird eine Geistesgrösse abgefeiert.

Aber Charles Robert Darwin ist die Aufmerksamkeit wert. Hinter dem ikonenhaften Bild des bärtigen Alten ist viel zu entdecken: ein Mann, der sich durch ein Dickicht von Dogmen und Ansichten zu einer neuen Sicht der Welt durchringt, ein Mann der dabei langsam seinen Glauben an Gott verliert, aber auch ein Mann, der über Jahre an Erbrechen, Durchfall und anderen rätselhaften Beschwerden leidet.

1831 brach der 22-jährige Charles Darwin mit der „Beagle“ zu einer Weltreise auf, die fünf Jahre dauern sollte. Später sagte er, dass diese Reise „das bei weitem bedeutungsvollste Ereignis in seinem Leben“ gewesen sei – Recht hatte er: sammelte er doch auf dieser Fahrt jene Fakten, die das Fundament für die Evolutionstheorie bilden würden. Doch zu Beginn der Reise sprach nichts dafür, dass die „Beagle“ einen der ganz grossen der Wissenschaft an Bord hatte.
Um ein Haar wäre Darwin gar nicht mitgefahren. Sein vermögender Vater, der das Leben des Theologiestudenten Charles finanzierte, sah in diesem Trip ein sinnloses Abenteuer. Charles schien ihm orientierungslos und in Gefahr, ein Taugenichts zu werden. Erst hatte er das Medizinstudium geschmissen, dann auf Anraten des Vaters widerwillig Theologie studiert. Nun wollte er offenbar vor dem Amt des Pfarrers auf eine Weltreise flüchten. Nur weil ein Onkel von Charles ein gutes Wort für ihn einlegte, durfte er auf die „Beagle“.

Wissenschaftliche Meriten, die ihn für eine solche Expedition enmpfohlen hätten, hatte er keine. Es gab auch keinen klaren Auftrag. Die „Beagle“ hatte einen Vermessungsauftrag; und ihr Kapitän Robert FitzRoy wollte einen jungen Naturforscher in seiner Kabine mitfahren lassen, um etwas Gesellschaft zu haben auf der langen Fahrt. Als Darwin 1836 nach England zurückkehrte, dauerte es noch 23 Jahre bis er 1859 sein Hauptwerk „Die Entstehung der Arten“ veröffentlichte.

In diesen Tatsachen sind zwei Lektionen verborgen, die gerade heute wichtig sind. Erstens: wissenschaftliche Talente passen nicht in vorgefertigte Schemen und sie sind nicht immer leicht zu erkennen – ob die zunehmend durchorganisierten Studiengänge dem gerecht werden? Zweitens: wissenschaftliche Erkenntnis lässt sich nicht planen. Darwin lebte Zeit seines Lebens vom Vermögen seines Vaters. Ob er die Evolutionstheorie auch entwickelt hätte, wenn er alle drei Jahre einen klar definierten Forschungsantrag hätte einreichen müssen, wie dies heutige Forscher tun müssen?

Ein Grund für die lange Inkubationszeit bis zur Veröffentlichung der Evolutionstheorie liegt darin, dass sich Darwin sehr wohl bewusst war, was er da erkannt hatte: Der Mensch, ein Affe. In „Die Entstehung der Arten“ listet Darwin gleich selber die Einwände gegen seine Theorie auf – inklusive seiner Antworten darauf. Leicht fiel ihm dieser Streit mit der Kirche und Teilen der Öffentlichkeit nicht. Darwin war kein in der Wolle gefärbter Materialist. Er stach 1831 als Gläubiger zur See und verlor seinen Glauben erst über die Jahre. Endgültig wohl mit dem Tod seiner ältesten Tochter Anne, die 1851 zehnjährig vermutlich an Tuberkulose starb und die Darwin innig liebte.

Seine Frau Emma war Zeit ihres Lebens sehr religiös. Als sie 1839 heiraten, deutete Charles ihr an, dass sein Glaube nicht mehr der festeste sei. Sie schrieb ihm darauf einen Brief, in dem sie die Furcht äusserte, „dass unsere Ansichten über das wichtigste Thema weit voneinander abweichen“, und bat ihn, die Religion nicht ganz zugunsten der Wissenschaft aufzugeben. Nach seinem Tod fand Emma ihren Brief mitsamt einem Bild der Tochter Anne in den Unterlagen von Charles. Auf den Umschlag hatte er geschrieben: „Wenn ich tot bin, dann wisse, dass ich dieses Bild oftmals geküsst und darüber geweint habe.“

Die Auseinandersetzung um Religion und Wissenschaft, um Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, die uns bis heute beschäftigt, diese Auseinandersetzung hat bereits Charles Darwin im engsten Familienkreis und mit sich selbst geführt. In seinen geheimen Notizbüchern lässt sich dies verfolgen. Im Frühling 1838 hatte Darwin offenbar erkannt, dass die Arten voneinander abstammen, und nicht von einem Gott einzeln geschaffen worden sind. „Aber der Mensch, der wundervolle Mensch ist eine Ausnahme", notierte Darwin in sein Notizbuch "C". Nur einige Zeilen später schrieb er: „Er ist keine Ausnahme.“

Diese geheimen Notizbücher haben es den Wissenschaftshistorikern ermöglicht, Darwins Weg zur Evolutionstheorie zu verfolgen. Am Anfang der Erkenntnis stand wohl sein Sammeltrieb. Auf der Fahrt der Beagle hortete der begeisterte Jäger alle Tiere und Pflanzen, die ihm in die Finger kamen – und er sammelte auch eine Unmenge von Fakten. „Ich bin wie Krösus“, sagte er einmal, „überwältigt von meinen Reichtümern an Fakten.“ Darwins Grösse liegt darin, sich schliesslich erfolgreich Übersicht über den immensen Faktenberg geschafft zu haben.

Offenbar war Charles Darwin ein Meister des Ordnens. Geholfen hat ihm dabei seine Freude an Listen; der Biologe und Wissenschaftshistoriker Adrian Desmond hat ihn „den geborenen Verfertiger von Listen“ genannt. Diese Eigenheit beschränkte sich nicht auf die wissenschaftliche Arbeit. Ein paar Jahre nach der „Beagle“-Reise dachte Darwin über die Eheschliessung nach, nicht weil er sich verliebt hatte, sondern aus praktischen Gründen. Und sehr praktisch verlief dann auch die Entscheidung: Er legte eine Liste mit Vor- und Nachteilen einer Ehe an. Als Vorteil erschien ihm etwa die abendliche Gesellschaft einer netten Frau auf dem Sofa, die ihn vom exzessiven Arbeiten abhielt. Als Nachteil vermerkte er, dass er sich wohl einen Job suchen müsse, da die Unterstützung des Vaters nicht für eine Familie reichen würde. Nach dieser sorgfältigen Analyse entschied er sich zur Heirat. Er hielt um die Hand seiner Cousine Emma Wedgood an – die zu seinem Erstaunen die überraschende Avance annahm. Trotz allem, die Ehe scheint zeitlebens eine glückliche gewesen zu sein.

Als Darwin 1859 endlich „Die Entstehung der Arten“ veröffentlicht hatte, da lief seine Sammel- und Ordnungsmaschinerie im Kopf unvermindert weiter. Er sei ein Millionär von seltsamen und skurrilen Fakten geworden, seufzte er und beklagte: „Ich bin zu einer Art Maschine zur Beobachtung von Fakten und Erzeugung von Schlussfolgerungen geworden.“ Während der „Beagle“-Reise habe er „die höheren Gefühle des Erstaunens, der Bewunderung und der Ergebung, die den Geist erfüllen und erheben“ gut gekannt. „Jetzt aber würden die grossartigsten Szenen keine derartigen Überzeugungen und Empfindungen in mir entstehen lassen. Man könnte ganz zutreffend sagen, dass ich wie ein Mensch bin, der farbenblind geworden ist.“

Am 19. April 1882 starb Charles Robert Darwin. Sein geistiges Erbe beschäftigt die Wissenschaft und die Gesellschaft noch heute. Thomas Häusler

(Aus dem Magazin des Kulturclubs von DRS 2)

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